Vor 60 Jahren hat mich Hans Wimmer hierhergebracht. Auf diesen Sockel, umgeben von frischem Wasser lag ich da und sollte irgend etwas repräsentieren. Ausgerechnet am Eingang zum Schlachthof – dachte ich mir. Schön war das nie. Dann kam auch noch der Zaun, damit sich niemand an meinem Horn verletzt… was soll ich sagen. Lieber würde ich auf der Straße liegen um diesen endlosen Strom an Lastern zu irritieren, die hier tagtäglich hunderte meiner Rinder und Rindeskinder in den Todestrakt bringen.
Eigentlich wollte ich hier weg, ich bin es müde hier, hätten eh nur wenige bemerkt. Ich wollte die Stelle besuchen, an der die mutige Kuh 2014 von Polizisten erschossen wurde, nachdem sie aus dem Schlachthof ausbüchsen konnte. So eine mutige, trotzige Dame hätte ich gerne kennengelernt, und an dem Weg an dem sie starb hätte ich lieber etwas repräsentiert, nämlich den Lebenswillen und die Schönheit meiner Spezies. Ich durfte hier nicht weg, man hatte Angst ich würde nicht wieder kommen, was ich auch ungern getan hätte. Man will mich hier haben, vielleicht muß ich das schlechte Gewissen der Menschen verkörpern – und ja mei, ich hab Zeit, vielleicht erlebe ich noch, daß hier hinter den Mauern andere Arbeiten stattfinden.
Der lustige Mensch der mir bei der Flucht helfen wollte, baut mir nun ein Häusel, ein Gewächshaus soll es werden, als wäre ich eine Tomate oder Gurke, aber nun gut, manchmal fühl ich mich so klein und fragil. Trauriger als jetzt kanns kaum werden. Jörg hat mich oft besucht und hat mir versprochen den Brunnen temporär zu reaktivieren. – das Plätschern fehlte mir sehr lange, hier gab es nur noch Autogeräusche seit es auch noch ein Parkplatz ist auf dem ich hier liege.
Ich bin neugierig was kommen wird. Vielleicht kommen Leute und reden mit mir, vielleicht bringen sie mir Blumen oder zünden ein Kerzlein an, und vielleicht überlege sie sich ob das alles so normal ist, was sie da täglich essen. Ich könnte es nicht runterwürgen, geschweige denn wiederkäuen. Ich mag Pflanzen. Ja, das würde ich gerne repräsentieren, daß Pflanzen essen toll ist und auch groß und stark macht. Ein Denk-mal gegen Speziesismus und für vegan Ernährung, das könnte ich mir besser Vorstellen als Aufgabe hier. Vielleicht sollte ich mich aufstellen auf meine müden Beine, strecken, und laut schreien, (so wie meine Mama als ich damals von ihr weggenommen wurde). Ich weiß nicht, ob ich diese Kraft noch finde, und vielleicht ist meine Traurigkeit auch authentischer.
Kommt mal vorbei, so gegen Ende Dezember verschwinde ich wohl in das Gewächshaus, aber wir können uns dennoch sehen. Und über uns wird das Sternzeichen des Stiers am Winterhimmel leuchten, das ist immer besonders schön.
Bis 19. März soll meine Behausung bleiben, dann feiern wir zusammen den 117. Geburtstag von Hans Wimmer, meinem Vater. Was danach kommt steht in den Sternen.
Ich freu mich auf Besucher,
Gruß
Euer geduldiger Ochse von der Zenetti 2
Text: Jörg Koopmann
Jörg Koopmann, geboren 1968 in München, lebt und arbeitet in München.